Kommentar 23.07.10

Bier

Ein unvermeidliches modisches Kleidungsstück in den öffentlichen Verkehrsmitteln ist schon seit längerem die Bierflasche, die immer offen, hin und wieder an den Mund geführt wird. Die Flaschenlosen werden einfach wie Luft behandelt. Der Konsum des legalen Suchtmittels Bier verbindet Burschenschaften mit Punks: bei beiden Folkloretruppen ist dieses Getränk das Letzte, was mensch entbehren möchte. Daß sich Jugendliche endlich einmal in ihrem langweiligen Leben ohne Krieg und Totschlag beachtet fühlen, wenn sie nach dem Komasaufen im Krankenhaus aufwachen, ist wiederum eine neue modische Erscheinung. Vorglüherinnen belästigen Kundinnen vor den Supermärkten, wo sie den Stoff ihres enthemmten Kults ohne Probleme erstehen, auch wenn sie noch nicht volljährig sind. Und daß nicht über den Totschlag durch einen Bierkonsumten berichtet wird, ist selbstverständlich, da ein Revolverblatt ja nicht die Anzeigenkunden der Bierindustrie vergraulen will.

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Kati Brien Quintett und Wolfgang Puschnigs Fulsome auf dem Rathausplatz Fellbach

Am Samstag, den 16. Juli spielten zwei Jazzformationen innerhalb des europäischen Kultursommers 2010 der Stadt Fellbach, der diesmal die Länder Kroatien und Österreich in den Mittelpunkt stellt. Es lag nahe die aus dem Ort stammende Altsaxophonistin Kati Brien mit ihrem Quintett einzuladen. Diese blutjunge Gruppe aus Berlin spielte hochprofessionell auf und bot herzerwärmenden zeitgenössischen Jazz (es hatte merklich abgekühlt und zum Glück bei dieser Freiluftveranstaltung nicht geregnet). Magnus Schriefls Trompete erinnerte an Kenny Wheeler, bei Brien hörte man das Vorbild Kenny Garrett heraus und auch die drei von der Rhythmusgruppe setzten deutliche Akzente.

Nach der Pause dann die Sensation: ‚mein alter Freund aus Philadelphia‘, so Puschnig, stand auf der Bühne: der Bassist der Freefunktruppe Prime Time um Ornette Coleman, Jamalaadeen Tacuma, hatte sich in diese Kleinstadt gewagt. Er bot waghalsige Läufe und trieb das ganze Projekt mit dem Tubisten Jon Sass und einem Schlagzeuger, der ebenfalls wie der Überflieger Puschnig aus Österreich stammt, voran. Die Stimmung war prächtig, Puschnig, wieder mal bestens gelaunt, bot sein ganzes Können auf Altsaxophon und Querflöte dar. So erklangen auch die Latin Genetics von Ornette oder ein unbekannteres Stück von Thelonious Monk.

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Rußland

Im Umkreis von 150 Kilometern um Moskau herum liegen die Datschas. Sobald der Frühling losgeht Anfang Mai, fahren die Stadtbewohnerinnen raus in ihre Ferienhäuser. Moskau wächst und hat mittlerweile 15 Millionen Einwohnerinnen. Die Stimmung in der Stadt wird zunehmend aggressiver. Einige wenige Neureiche können sich ein Feriendomizil in der Rubljovka leisten, hier haben früher die Parteichefs residiert. Die Normalbürgerin jedoch hat die Datscha vom Vater oder Großvater geerbt. Immer mehr dieser Behausungen fallen den Neubauten zum Opfer. Die Tradition der Datscha geht zurück auf den russischen Adel. Zur Zeit der Sowjetunion hatte jede einen Anspruch auf eine 600 Quadratmeter-Parzelle. Die Russinnen bauten dort ihr Gemüse an, das sie in der Stadt nicht kaufen konnten. Heute flieht mensch vor der Hitze in Moskau, wo es im Winter sehr kalt ist. Zu dieser Jahreszeit vergnügen sich die Moskauerinnen in den städtischen Parks, wo sie Schlitten oder Schlittschuhe fahren. Mittlerweile wird auch schon in der Datscha in das Zwischennetz eingehakt, um von dort aus mit dem Rechner zu arbeiten. Das selbst angebaute Gemüse ist biologisch und wird nach der Ernte in Gläsern konserviert. Allerdings wird auch der Rasen von den Kindern zum Spielen genutzt und die Erwachsenen bauen dort Obstbäume an. Die Datscha, in der Lenin 1924 starb, wird übrigens heute nicht mehr so oft besichtigt wie zu Zeiten des Kommunismus.

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