Japan

Jedes Jahr nehmen sich in diesem asiatischen Inselstaat 30.000 Menschen das Leben. Dies ist die höchste Zahl an Opfern auf dem Planeten gleich nach Rußland. Die Kandidatinnen sind oft Überschuldete und Depressive. Es ist hier schlimmer, seine Ehre zu verlieren, als sich zu töten. Im Land des Harakiris hat sich diese Samurai-Geschichte erhalten. Viel zu spät hat der Staat reagiert, der das Problem lange ignoriert hatte und stellt nun 100 Millionen Euro bereit, um dagegen vorzugehen. An einem Touristenort hat ein pensionierter Polizeikommissar mittlerweile 280 Menschen geholfen, ins Leben zurück zu finden. Er streift an der Küste umher, um Menschen in Selbsttötungsabsicht vor dem Sprung in die Tiefe abzuhalten. Einige ehrenamtliche Helfer unterstützen ihn, er ist zu einem Helden des Landes geworden, da über ihn berichtet wurde und erhält nun mittlerweile 70.000 Euro Unterstützung vom Staat für seine Hilfsorganisation. Ansonsten ist im ganzen Land die soziale Kälte auch wegen des Wirtschaftseinbruchs nicht zurückgegangen. Verzweifelten Menschen, die alles verloren haben, wird nicht geholfen. Entweder du bist erfolgreich und geachtet, oder das Gegenteil ist der Fall und du wirst von der gesamten Gesellschaft ausgestoßen. Dieser Gesichtsverlust ist nie mehr rückgängig zu machen. Einige Überlebende von Selbsttötungen haben es dennoch geschafft und sind diesem Teufelskreislauf entkommen. Sie sind wieder zurück im Leben.

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Sankt Petersburg

In dieser russischen Stadt hat der Biologe Wawilow zwischen den Weltkriegen ein Institut aufgebaut, daß sich zum Ziel gesetzt hat, 90 Prozent aller Kulturpflanzen Russlands zu erhalten. Hier werden Samen gesammelt und konserviert. Vor den Toren der Stadt bauen Angestellte des Instituts die Pflanzen an, um neue Samen zu gewinnen und sie vor dem Aussterben zu bewahren. Hierbei geht es darum, die genetische Vielfalt der Pflanzen zu erhalten. Das Institut wurde in der Sowjetunion aufgebaut, Wawilow fiel beim Diktator Stalin wie viele bedeutende Idealisten in Ungnade und verhungerte im Gefängnis. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurde die finanzielle Unterstützung eingestellt, Mitarbeiterinnen wurden entlassen. Nun kämpfen noch wenige mit einem kärglichen Gehalt um dieses wichtige Erbe. Die 100 Hektar Pflanzungen vor den Toren Sankt Petersburgs sollen nun für Reichensiedlungen umgepflügt und bebaut werden. Der Wert der Pflanzen und Samen erschließt sich den Behörden nicht. Nun hofft mensch auf ein Einsehen und Einschreiten von Präsident Medwedjew.

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Friedensgala 2010

Immer wieder ein ergreifender Abend alljährlich zum Ende des Jahres: die Verleihung des Stuttgarter Friedenspreises der AnStifterinnen im Theaterhaus, im Jahre 2010 am 21. November. Preisträger diesmal war der Asylpfarrer der evangelischen Landeskirche, Werner Baumgarten. Er setzt sich seit 30 Jahren für die Rechte der Flüchtlinge in Stuttgart ein. Die Preisrede hielt Bahman Nirumand, aus Persien stammend und Exilant seit 30 Jahren in Deutschland. Er schlug den Bogen von den Fluchtursachen, die in Europa beschlossen werden und den Opfern, die bei der Flucht in eben diesen Kontinent ums Leben kommen oder wenn sie lebend bei uns eintreffen auf das Übelste behandelt werden. Menschenrechte sollten nicht nur im Grundgesetz stehen, sondern auf dem ganzen Planeten umgesetzt werden. Der Skandal, daß 1 Milliarde Menschen hungern und im Elend leben, kam zur Sprache. Baumgarten hatte sich auch immer wieder mit dem Haß der Eingeborenen gegen Flüchtlinge zu beschäftigen. Diese Preisverleihung war eine Wonne für alle, die sich für die oft Traumatisierten und Geschundenen einsetzen. Die Musik vom Open World Project mit Einwanderinnen aus Georgien, Argentinien, und Algerien, die ihren Lebensmittelpunkt in Stuttgart gefunden haben, war ausgezeichnet, alles große Könnerinnen auf ihren Instrumenten. Schöne Filmeinspielungen gab es von Jochen Faber, der bekannte und unbekannte Flüchtlinge zu Wort kommen ließ. Auch die Moderation von Marina Kem ließ nichts zu wünschen übrig. Und nicht zu vergessen der Vorstandsvorsitzende der AnStifterinnen, Peter Grohmann, der dies alles vor 10 Jahren ins Leben gerufen hatte. Zum Schluß eines äußerst gelungenen Sonntagabends wurden noch gesund und sozial angebaute Blumen aus Ekuador verteilt. Die Mitgliedschaft bei den AnStifterinnen kostet übrigens nur 50 Euro im Jahr, mensch kann natürlich auch mehr spenden.

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Spielzettel 19.11.10

Eröffnungsklingeln mit Monticello vom Monty Alexander (p) Trio

Kenny Dorham (tp) – Extrapolation

Michael Blake (ts) – Elevated

Carla Bley (p) – Three Banana

Herbie Hancock (p) – Una noche con Francis

Marilyn Crispell (p) – You’ve left me; Dreams (If time weren’t); Nothing ever was, anyway

Count Basie (p) – Fare Thee Honey, Fare Thee Well

Wayne Horvitz (key) Zony Mash – Goes Round And Round

Berlin-Leipzig-Combo – Blues-Gedanken

Kompaktscheibe der Woche: Nothing ever was, anyway. Music of Annette Peacock (1996) mit Marilyn Crispell (p), Gary Peacock (b), Paul Motian (dr), Annette Peacock (voc)

Kommentar 19.11.10

Unterschicht

Diese Bevölkerungsgruppe äußert sich zum Beispiel durch Bahnfahrende, die zu später Stunde oft die Gelegenheit wahrnehmen, zeitungslesende Zeitgenossinnen anzupöbeln. Ist dies doch die einzigste Möglichkeit im Alltag, seinen Unmut über Bildung kundzutun. Wenn mensch überhaupt noch ab und zu in die Schule geht, wird dies genutzt, um die Lehrerinnen zu schikanieren. Denn Schweineesser sind ja widerwärtig. Wir sind die Besten. Ist mensch spätabends in der Bahn in seine Lektüre vertieft, muß mensch gelegentlich oft um seine körperliche Unversehrtheit bangen, da sich hier ja wie sonst nirgendwo die Gelegenheit bietet, es denen da oben zu zeigen. Abgesehen davon, daß jemand, der öffentliche Verkehrsmittel benützt nicht unbedingt der Oberschicht angehört. Denn die hat einen Panzer zur Fortbewegung und muß sich nicht mit dem Fußvolk auseinandersetzen. Daß bildungsferne Menschen nach oben aufsteigen, ist ausgeschlossen. Sie taugen noch dazu, Steuern zu zahlen und die Knäste zu füllen. Denn irgendwoher braucht der Staat ja seine Legitimation. Alle Regierungen der Welt sind dazu da, die Reichen vor den Armen zu schützen.

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